EURO-Cup 2007 in Rastatt

Eine beeindruckende Halle in Rastatt - ausschließlich für BouleEs waren nur 180 km aus dem Rheingau nach Rastatt – aus Kassel waren es mehr als 330 km und Gerhard, Jörn, Herbert und Ursula fanden es nicht zu weit. Und es hat sich gelohnt, wenn man bei Petanque als Zuschauersport von „lohnen“ sprechen kann. Es stimmt: fast 13 Stunden unterwegs, die Fahrt mit drei Stunden und die Mittags- und weitere Pausen mit zwei Stunden abgezogen, bleiben acht Stunden Petanque, die zugegebenermaßen nicht immer spannend waren. Aber dazwischen: Hochspannung, fantastische Spielzüge, viele neue Eindrücke und unbezahlbare Lerneinheiten, sofern man aufmerksam ist und lernen will.

Lernen: Hier reicht der Platz nicht aus, all das zu beschreiben, was man an Technik und Taktik lernen konnte bei Spielen, die teilweise auf sehr hohem Niveau stattfanden. Vielleicht die wichtigsten Punkte kurz zusammengefasst:
Spiele werden auch auf dieser Ebene im Kopf verloren; konstant sicheres Schießen ist ungeheuer wichtig – aber letztlich gewinnen eine oder mehrere gut gelegte Kugeln; eine Mannschaft gewinnt oder verliert als Mannschaft; Petanque spielen können hier alle und trotzdem gewinnt eine Mannschaft und die andere hat manchmal keine Chance.
Soweit die Psychologie als bestimmende Einflußgröße – und wer es noch nicht erlebt hat, sah hier eine Lehrstunde erster Güte.

Natürlich gab es auch ganz praktische Erkenntnisse: Wir schießen im Vergleich alle viel zu flach; eine getroffene Kugel, die nicht hinter die Auslinie befördert wird, ist fast ein Fehlschuss; ein Sauschuß ist keine Kür für die Galerie, sondern bei Kugelnachteil oft die einzige Rettung; ach ja – und gelegt wird aus der Hocke.

Belgische Fans zeigen, welche Mannschaft sie unterstützen - für uns noch etwas ungewohnt, aber wir arbeiten dranEindrücke: Nun, Petanque wird vermutlich kein Zuschauermagnet – bei Fußball ist in 90 + x Minuten alles vorbei und es war viel Spannung oder gähnend langweilig. Auf jeden Fall: es ist vorbei. Bei einer Petanquebegegnung weiß man nach dieser Zeit noch nichts. Vielleicht hat man ein paar spektakuläre Spielzüge gesehen – vielleicht aber auch nicht. Auf die Entscheidung wird man noch ein oder zwei Spielrunden warten müssen. Bedauerlich: für zufällige und nicht allzu fachkundige Zuschauer wird nichts, aber auch garnichts getan. Von der Lausprecheranlage ist nur wenig zu verstehen und Erläuterndes gibt es schon garnicht: Nichts zum Spielmodus, keine Mannschaftsaufstellungen, einfach nichts. So weist ein Zusachauer seinen wenig fachkundigen aber interessierten Tribünennachbarn wenigstens in die wichtigsten Grundlagen ein: Der Spielmodus, wann hat eine Mannschaft gewonnen, warum wird beim Stand von 4:1 die weitere Runde mit den beiden Tripletten nicht mehr gespielt. Wäre es wirklich für die vielen Fachleute so unerträglich, wenn diese Selbstverständlichkeiten angesagt würden. Und wäre es ein Mangel, wenn nicht nur die Schlachtenbummler der jeweiligen Mannschaft die Spieler mit Namen anfeuern könnten?

Dass Petanque auch für Zuschauer ein Ereignis sein kann, zeigten insbesondere die belgischen Zuschauer. Anfeuerung per Zuruf und Gesang auf eine Weise, die uns noch fremd erscheint. So bleibt die Frage: Wer hatte hier eigentlich ein Heimspiel?
Aber es bleibt auch festzuhalten: Eine traumhafte Halle, große Mühe des Veranstalters, der extra für diese Veranstaltung eine Stahlrohrtribüne aufgebaut hatte, viele fleißige Hände – Danke, dass es auch für eine nicht so lukrative Veranstaltung noch rührige Ausrichter gibt.

Fantastische Spielzüge: Ja, liebe Rheingauer Boulefreunde – man kann Kugeln werfen und man kann Kugeln werfen. Das Eine ist schön und vielleicht auch gut – das Andere ist einfach begeisternd. Es stimmt, auch bei diesen Spielern ist nicht jeder Wurf eine Offenbarung – aber es gibt Spielzüge, die beim ersten Mal überraschen und begeistern und sich bei einer Wiederholung eben nicht als Glückswurf herausstellen. Das, was uns an diesem Spiel begeistert ist hier sehr viel häufiger zu sehen. Das Carreu, häufig sogar sur place (für nicht so Fachkundige: die Schußkugel bleibt genau dort liegen, wo die weggeschossene Kugel vorher lag – versuchen Sie das einmal) kann man hier immer wieder bewundern. Und man hat aufgrund der Häufung die Chance, zu erkennen, welche Voraussetzungen bzw. welche Wurftechnik zu einem solchen Ergebnis führt und welche eben nicht. Auch für das taktische Verständnis einer Partie gibt es so manches Aha-Erlebnis – dazu ist dann allerdings schon etwas mehr Erfahrung und einige Zeit des Nachdenkens erforderlich. Dann aber erfüllt sich die Aussage eines mir unbekannten Spielers: Boule / Petanque ist wie Schach mit Stahlkugeln. Aber ebenso wie Schach wird das kaum Massen von Zuschauern anziehen. So ist das eben.

Hochspannung: Können Sie sich vorstellen, dass ein Dublette beim Stande von 9:4 noch spannend ist? Ca. 100 Zuschauer verfolgten das Dublette mixte zwischen der italienischen und der deutschen Mannschaft überaus angespannt. Es war beim Gesamtstand von 3:1 schon die entscheidende Partie. So gehörte die gesamte Aufmerksamkeit diesem letzten Spiel der zweiten Runde. Wer schon einmal Boule gespielt hat, weiß, dass auch ein 12:4 noch keinen Sieg bedeutet. Hier gilt das Gleiche wie beim Tennis: Der letzte Punkt ist der schwerste und muss erst gewonnen werden.
So wehrten sich hier Lara und Jan gegen ein unspektakulär aber überaus sicher spielendes Paar aus der italienischen Mannschaft. Letztlich vergebens, weil der Gegner Punkt um Punkt dem Ziel näher kam und es schließlich erreichte.

Oder: Beim Stand von 10:10 glaubt das belgische Dublette mit drei Punkten das Spiel für sich entschieden zu haben. Doch die Meinung der Viernheimer Mannschaft, dass es nur zwei Punkte seien, wird vom Schiedsrichter bestätigt – statt Sieg nur 12:10. Die nächste Aufnahme bei Höchstspannung in der Halle bringt einen Punkt für Viernheim – 12 : 11. Dann plötzlich entscheidender Kugelnachteil für Viernheim. Noch drei Kugeln. Ein erster Sauschuß – daneben. Das war’s dann wohl. „Hol Dir die Sau“ schallt es aus dem Publikum und von Mannschaftskameraden – die letzte Chance.

Die Kugel fliegt und die Zielkugel (Sau) ebenfalls quer durch die Halle. Befreiter Jubel bei Spielern und Zuschauern – jedenfalls soweit sie sich auf der Seite von Viernheim wähnen. Eine neue Aufnahme. Der Brüsseler Spieler schießt zwei „Löcher“ – völlig ungewöhnlich, aber das sind halt die Nerven. Nach zwei gut gelegten Kugeln von „Flo“ Hennekemper erweist sich der belgische Leger als ebenso guter Schießer. Die vorletzte Kugel des Viernheimer Schießers – so meint man – bringt die Entscheidung – nur knapp 15 cm links hinter der Zielkugel. Aber der belgische Leger bleibt mit seiner letzten Kugel nur ca. 10 cm rechts vor dem Schweinchen. Es sieht so aus, als habe die belgische Mannschaft mit einiger Verzögerung doch noch den Sieg eingefahren. Aber die letzte Kugel spielt Michael Schmidt, der Schießer des Viernheimer Doublette. Langes Studium der Situation und ebenso lange Konzentration. Und dann – kein befreiender Schuß sondern ein Hochportee, fast ein Plombee – kurz vor die Zielkugel gelandet und diese mitgenommen in Richtung der eigenen dahinter liegenden Kugel. So liegen sie denn gemeinsam beisammen: zwei Viernheimer Kugeln und eine Sau. 12:13 – ein schon verloren geglaubtes Spiel noch gedreht und überbordende Begeisterung in der Halle. Auch das ist Petanque – und es stellt sich nicht mehr die Frage, warum man so viele Stunden hier gesessen hat. Wäre man nicht dabei gewesen, man hätte etwas verpasst. (Die Schlussphase dieser Partie habe ich übrigens auf Video festgehalten.)

Leider hat es für Viernheim nicht gereicht. Die beiden abschließenden Triplettes gingen verloren und damit die Gesamtbegegnung mit 3:4. Während die Belgier in der Hallengaststätte ausgelassen ihre Finalteilnahme feierten, hatte es Viernheim in der Barrage mit der italienischen Mannschaft (Anpi Molassana-Casellese – wo liegt das eigentlich, aber das werden andere sich bei „Viernheim“ auch fragen) zu tun. In den beiden Triplettes hatte man nicht wirklich eine Chance. Soviel Schwäche (sechs Triplettebegegnungen wurden an diesem Tag verloren) muss sich auch auf die mentale Verfassung auswirken. So gingen dann von drei Dublettepartien auch noch zwei verloren. Aus der Traum vom Finale. Als Trost mag bleiben: Man hat schließlich gegen den späteren Europacup-Gewinner verloren: Anpi Molassana-Casellese – Herzlichen Glückwunsch!

Weitere Informationen und Bilder auf der Seite des Deutschen Petanque Verbandes (dort lese ich, dass Molassana ein Stadteil oder Vorort von Genua sei) und – man höre und staune – bei WIKIPEDIA.