Hessen-Nord ist für die südhessischen Boulespieler eher unbekanntes Terrain – zumindest dann, wenn man nicht eine Quali oder eine DM in Kassel spielt. Nordhessische Spieler hingegen mussten in den vergangenen Jahren häufiger zu den Liga-Großspieltagen in den hessischen Süden. Noch etwas weiter als Hessen-Nord liegt Göttingen kurz hinter der Grenze zu Niedersachsen. Und dort gibt es seit Jahren einen familiären Treff vorwiegend der niedersächsischen Pétanquespieler beim Göttinger Gänselieselturnier.
Das Turnier wurde in diesem Jahr auch zum Familientreff für ein Rheingauer Team. Inge und Walter, begleitet von Reiner, machten Zwischenstation bei ihrem Sohn Laif in Kaufungen bei Kassel. Nach der Anreise zur Zwischenstation bereits am Freitag ging es am Samstagmorgen nach Göttingen. Uns erwartete in der Südstadt ein herrlicher Sportpark mit einer traumhaften Bouleanlage, die heute um einige Flächen und Wege erweitert als Turnierplatz hergerichtet war. So wie hier wünschen wir uns ein Boulodrôme im Rheingau – man darf ja schließlich mal träumen.
Der erste Weg führte zur Einschreibung. Völlig unaufgeregt und perfekt organisiert wurde die Einschreibung absolviert. Dem Anspruch eines niedersächsischen Ranglistenturniers war neben der Einschreibung noch vieles andere gewachsen, worauf im Laufe des Berichts noch einzugehen ist. Jetzt war aber erst mal Einspielen auf den unterschiedlichen Platzbelägen angesagt. Zwischendurch gab es immer wieder Gelegenheit, Bekannte von den Rumkuglern aus Kassel zu begrüßen: Mirko, Jörg, Rüdiger, Angela, Andrea, Gerhard, natürlich HPV-Vize Georg „Schorsch“ und eine Reihe weiterer Spieler aus der nordhessischen Metropole. Ansonsten war naturgemäß ein völlig anderes Starterfeld in Göttingen, als die immer wieder ähnlichen Starterfelder bei den Turnieren in Südhessen. Das hat einen besonderen Reiz, da man, von einigen deutschen Top-Spielern abgesehen, die meisten Spielerinnen und Spieler nicht kannte und deshalb auch nicht einordnen konnte.
Gespielt wurde im Schweizer System über sechs Runden, wie bei der Begrüßung der 52 Teams mitgeteilt wurde. Ein wesentlicher Nachteil des Schweizer Systems ist die zeitliche Unberechenbarkeit. Hier leistete die Turnierleitung in Göttingen Besonderes: Die Runden wurden jeweils vorgelost und sobald ein wesentlicher Teil der Partien einer Runde beendet war, wurden die schon klaren Partien der nächsten Runde bereits öffentlich angezeigt. Durch die gleichzeitige Zuweisung der Spielbahn durch die Turnierleitung, konnten die bereits fertigen Mannschaften bereits in der nächsten Runde spielen. So konnten sich teilweise länger laufende Partien der einen Runde mit denen einer anderen Runde überlappen. Das klappte perfekt und ist unbedingt nachahmenswert! So war bis auf eine einzige nachhängende Partie einschließlich des „Endspiels“ gegen 20:30 Uhr alles gelaufen und die Helfer konnten schon Teile des Turnierplatzaufbaus abbauen. Nach sechs gespielten Runden bei einem Start kurz vor 10 Uhr ist das eine wirklich beachtenswerte Leistung.
Aber nicht nur die Turnierorganisation war perfekt. Die Schiedsrichter fielen uns besonders positiv auf. Drei Schiedsrichter, durch entsprechende Kleidung klar erkennbar, waren ständig auf dem Turniergelände präsent, jederzeit bei Bedarf ansprechbar und auf eine angenehm zurückhaltende Art äußerst wirksam. So wurde die nicht regelkonforme Platzierung eines neuen Wurfkreises bei unserem gegnerischen Team in netter Art und Weise angesprochen und die korrekte Ausführung kurz erklärt. Angenehm und völlig entspannt. Wie wirkungsvoll diese Präsenz war, konnten wir an zwei Beobachtungen festmachen: Auf den Bahnen und im Umfeld der laufenden Spiele zwischen den Bahnen wurde nicht geraucht (!) und es waren auch keine Bierflaschen oder -gläser zu sehen. Einfach das selbstverständliche Umfeld einer Sportveranstaltung – seien wir ehrlich: Das ist längst nicht bei allen großen Turnieren so. Aber überaus angenehm und dafür, wie für die wirklich perfekte Gesamtorganisation der Göttinger ein ganz großes Lob!
An der Turnierorganisation konnte es also nicht gelegen haben, dass unser Rheingauer Team überhaupt nicht ins Turnier fand. Die Begegnungen der ersten drei Runden gingen in dieser Reihenfolge mit 10 : 13, 11 : 13 und 9:13 verloren. Es war unglaublich, was die Rheingauer an diesem Tag verlegten und verschossen. Das hatte zur Folge, dass von Selbstbewusstsein nach der dritten Niederlage keine Spur mehr zu sehen war. Dabei waren die Gegner bei realistischer Einschätzung keinesfalls so stark, dass die Niederlagen unabwendbar waren – da haben die Rheingauer in den letzten Monaten gegen deutlich stärkere Teams viel besser ausgesehen. Aber wenn es mal nicht läuft, dann läuft es eben nicht.
In einem Anfall von Fatalismus wünschte sich Inge dann ein Spiel gegen ein Team, in dem eine Frau durch Ihr Outfit besonders auffiel. Wir kannten sie schon aus dem vergangenen Jahr vom Holstentorturnier in Travemünde. Wie das so manchmal ist mit selbsterfüllenden Prohezeihungen: Die Auslosung für die 4. Runde führte uns mit dem Team von Therese, so heißt die Dame, zusammen. Gegen sie und Ihre Partner Rainer und Siegfried gelang den Rheingauern endlich der erste Sieg an diesem Tag. Aber erst gegen 15:00 Uhr aufzuwachen, ist für ein solches Turnier einfach zu wenig. Sollte das jetzt doch noch die Wende zum Guten werden?
In der 5. Runde ging es gegen das Team, gegen das Laif, Mirko und Petra gerade zuvor verloren hatten. Plötzlich lief es bei den drei Rheingauern besser. Einfach mal die Positionen tauschen entwickelte sich zu einem „Hallo-Wach-Signal“. Ein 13 : 6 Erfolg war die Belohnung für eine deutlich konzentriertere Leistung.
Für die letzte Runde hatte man sich nun vorgenommen, mit einem weiteren Sieg für eine letztlich ausgeglichene Bilanz dieses Turniertags zu sorgen. Die ersten gespielten Kugeln ließen dies Vorhaben in weite Ferne rücken. Das deutlich stärkste Team an diesem Tag und die mit Abstand schwierigste Bahn mit Gefälle zu einer Seite. Aber plötzlich spielten Walter, Inge und Reiner in der Form, die man eigentlich von Anfang an erwartet hätte. Die Partie war eng und als Inge den letzten Punkt legte und so den 13 : 10 Sieg perfekt machte, war der Jubel bei den Dreien groß. Nach einem desaströsen Auftakt letztlich noch eine versöhnliche Bilanz: Nach drei Niederlagen folgten drei Siege. Besonders die Tatsache, dass zum Schluss gegen den spielstärksten Gegner eine überzeugende Leistung abgerufen werden konnte.
Laif und Rosi hatten für diesen Abend noch zu einem gemeinsamen Essen bei einem herausragenden „Griechen“ eingeladen. Deshalb musste man den Turnierplatz dann letztlich doch vor Veröffentlichung des endgültigen Klassements verlassen – herausgekommen sein dürfte ein Platz im Mittelfeld. Heute war mehr drin – aber das hervorragende Essen tröstete über den leichten Frust hinweg. So hatte ein letztlich sehr schöner Turniertag in Göttingen nicht nur ein versöhnliches Ergebnis sondern im Restaurant auch einen perfekten Abschluss.