Das Holstentorturnier in Travemünde:
Eine andere Dimension (2)

Gewusel im Brügmanngarten zwischen Kurhaus und Ostseestrand - dazwischen wird Boule gespielt. Eine einmalige Atmosphäre. Sonntagmorgen – 9:00 Uhr: Inge und Walter sitzen noch beim Frühstück. Heute spielen die Beiden nicht und deshalb ist noch etwas Zeit. Es wird bestimmt wieder einen „offiziellen Teil“ geben und so hat man auch etwas später gute Chancen, rechtzeitig zu den ersten Spielen zu kommen. Genauso ist es. Als die Beiden zum Turniergelände kommen, ist gerade die 1. Runde ausgelost. Heute trennen sich die Beiden: Inge geht zum Strand – Walter will einige Triplettespiele beobachten und heftet sich erst einmal an die Fersen von Maike, Patrick und Jochen (Jay-Jay) aus Rockenhausen. Die Wahl erweist sich als richtig – es geht zu einem Spielfeld direkt neben den Wasserspielen auf der Kurpromenade und nebendran spielen Jan Garner, Martin Kuball und Jannik Schaake gegen ein Team vom SV Odin, dem Heimatverein von Jan.

Ein gutes Beispiel für Teamzusammengehörigkeit und Konzentration: Martin Kuball, Jannik Schaake und Jan Garner im Spiel gegen die Mannschaft vom SV Odin. Fast perfekt - denn ein gemeinsames Trikot hätte sich im Fundus der drei Spieler sicher auch noch gefunden - für die Spieler aus Tunesien, Frankreich, Madagaskar und viele andere eine Selbstverständlichkeit. Da das Team aus Rockenhausen auf einer Bahn spielt, die weiter weg liegt, konzentriert sich Walter auf das Spiel direkt vor ihm. Jan, Martin und Jannick sind den schon etwas älteren Herren vom SV Odin deutlich überlegen. Trotzdem ist hohe Konzentration angesagt – wie viele Spiele wurden schon verloren, weil man den Gegner unterschätzte. Ehe man sich versieht, gerät man in Rückstand und der Gegner wächst über sich hinaus. Das sollte hier an diesem Tag nicht passieren. Der Boden, der so leicht aussah, erweist sich als sehr  tückisch. Doch hier spielt schließlich der Kern der Deutschen Nationalmannschaft und so finden die drei Spieler Mittel, auch auf schwierigem Boden die notwendigen Punkte zu machen. Aber auch in einem solchen Spiel gibt es viele interessante Kleinigkeiten zu beobachten: So wird beim Triplette auf die erste gegnerische Kugel offensichtlich nur einmal geschossen – geht der Schuß daneben, wird erst einmal gelegt. Eine Beobachtung, die sich später bei anderen Top-Mannschaften wiederholt. Das Nationalmannschaftsteam gewinnt die Partie deutlich.

Gewonnen - Glückwunsch! Jochen, Maike und Patrick (in den olivgrünen Trikots) nehmen die Gratulation des Pétanqueteam Ukraine entgegen. Inzwischen sind auch die Rockenhausener in ihrer ersten Begegnung siegreich. Man wartet noch auf den Gegner. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus: Es ist das Pétanqueteam Ukraine! Aufstellen zum Mannschaftsfoto hinter den Wasserspielen und dann kann es losgehen. Maike legt perfekt und sofort ist Druck aufgebaut. Aber das Team aus der Ukraine, das erstmals an diesem Turnier teilnimmt, zeigt sich der Anforderung gewachsen. Der Schießer befördert die Kugel souverän ins Aus. Ist das Team aus Rockenhausen irritiert? Jedenfalls gelingt in dieser ersten Aufnahme nicht mehr viel und schon liegt man 0 : 4 zurück. Aber jetzt macht sich die Erfahrung aus der Bundesligazugehörigkeit im vergangenen Jahr bemerkbar. Keine Anzeichen von Nervosität und ein immer sicherer werdender Schütze Jay-Jay – und wenn es eng wird, ist auch noch Patrick da. So kommt man über 2 : 4, 5 : 4, 8 : 4 und 10 : 4 langsam auf die Siegerstraße. Jetzt nur nicht mehr leichtsinnig werden. Der Schießer der Ukraine scheint nach einigen Fehlschüssen total verunsichert. So ist es dann für Maike, Patrick und Jay-Jay ein Leichtes über 11 : 4 zum 13 : 4 „einzulochen“. Bravo und herzlichen Glückwunsch. Die Drei sind im A-Turnier und werden in dieser Form hoffentlich noch viel erreichen.

Hoffnungen, die am frühen Morgen erblühen, laufen Gefahr, in der Sonne des Mittags dahin zu welken. So erging es leider auch dem Team aus Rockenhausen in der Cadrage gegen Ruth Seebach, Andi Globig und Thomas Porcher aus Essen. Nach einem guten Start und eine 5:0 Führung fing man sich vier Punkte durch den Gegner ein. „Zwei Löcher schießen ist einfach zu viel“ so der Kommentar von Esther, der Vorsitzenden der Boulefreunde ‚Le Cochonnet‘ aus Rockenhausen. Mit einer anschließenden 3-Punkte-Aufnahme zum 7 : 4 schien das Tief überwunden. Aber inzwischen hatte man den Gegner stark gemacht und die drei aus NRW kamen immer besser ins Spiel. 7 : 13 hieß es am Ende und auch für dieses Team war das Turnier damit beendet. Schade, es wäre mehr drin gewesen.

Ein Erinnerungsfoto für das Vereinsheim: 'Die Erneuerten' (Ursula Schröder, Jürgen Schröder und Hermann Büchel aus Krähenwinkel) nach ihrem Spiel gegen die tunesische Nationalmannschaft (Khaled Bougriba, Mootez El Manaa  und Mohamed Ferjani). Nach der Mittagspause ergab sich dann im 16-tel Finale eine bemerkenswerte Partie: Ein, mit Verlaub, im Alter etwas fortgeschrittenes Team aus Krähenwinkel war gegen die tunesische Nationalmannschaft mit Momo und seinen beiden jungen Mitspielern, die übrigens gestern das Doubletteturnier gegen die Franzosen gewonnen hatten, ausgelost. „Die Erneuerten“ – so wies sie die Aufschrift auf ihrem Trikot aus, nahmen das Los mit heiterer Gelassenheit. „Was kann einem schon Besseres passieren, als gegen einen Vizeweltmeister aus dem Turnier zu fliegen?“ Also, noch schnell ein paar Fotos fürs Vereinsheim und dann konnte es losgehen. Die Nervosität war aber nicht zu übersehen und so fragte jemand im Hintergrund nach der ersten Kugel „Wie haben die das nur bis hierher geschafft?“ Nun, ganz einfach – sie haben ihre Spiele gewonnen! Dass dies nicht unberechtigt war, zeigte sich dann im Verlauf der Partie. Einige sehr gut gelegte Kugeln und einige prachtvolle Schüsse der Schießerin Ursula Schröder reichten nicht aus, gegen das überlegene Team aus Nordafrika auch nur einen Blumentopf zu gewinnen. Nun zeigte sich nicht nur die sportliche sondern auch die menschliche Größe von Momo: Wo viele andere Spieler nach Entgegennahme der Gratulation wortlos verschwinden, parlierte Momo ganz entspannt mit den Spielern der gegnerischen Mannschaft. Insofern ist es natürlich ein Vorteil in diesem Sport, wenn man der französischen Sprache mächtig ist. Ein kurzes aber schönes Spiel mit einem ausgesprochen freundlichen Nachklang.

Aber dann hagelt es Überraschungen: Julian Bua, gestern noch im Finale scheidet heute in einer anderen französischen Mannschaft am Ende ohne Gegenwehr gegen Jan, Martin und Jannik aus. Sascha Löh, Jo Neu und Sönke Backens setzen sich nach hartem Kampf mit 13 : 12 gegen ein madegassisches Team durch. Die Spiele laufen nun wegen unterschiedlich langer Dauer der einzelnen Begegnungen etwas auseinander. So entwickelt sich im Viertelfinale zwischen Jan, Martin und Jannik gegen Fahreddin Hass, Rüdiger Kaiser und Robert Haag ein wahrer Krimi. bereits 10 : 3 führt die Mannschaft um Jan und sieht wie der sichere Sieger aus. Die Mannschaft um Fahri, einmal im Besitz des Schweinchens wirft dieses nun konsequent auf 10 m. „Lieber nochmal neu werfen als zu kurz“ scheint das Motto. Und Fahri hat jetzt keinen einzigen Fehlschuss mehr. Punkt um Punkt des großen Vorsprungs geht verloren. Beim Stand von 11 : 9 werden auch die Nationalspieler sichtbar nervös. Diskussionen um die richtige Aktion sind offensichtlicher Beleg für die Verunsicherung. Fahri als der erfahrenste in seinem Team sorgt für Ruhe und Gelassenheit, obwohl die Nerven sicher zum Zerreißen angespannt sind. Nun kommt an ein paar Stellen auch noch Glück dazu, aber man profitiert auch von Fehlern des Gegners. Da nun auch der Milieu in einigen kritischen Situationen trifft, während sich beim Gegner die Fehlschüsse mehren, ist das Ergebnis letztlich keine Überraschung mehr: 13 : 12 für die Mannschaft um Fahri, die ihren Sieg gegen den Favoriten ausgelassen feiert. Gefühlt ca 2,5 Stunden für diese nicht enden wollende Partie ist aber einfach zu lange. Hier sollten sich die Spieler ein Beispiel an den tunesischen oder französischen Spielern nehmen, die sehr viel schneller zur Tat schreiten. Wo ist z.B. der Sinn zu sehen, wenn Jannik bei einer zu schießenden gegnerischen Kugel 2 1/2 mal das Gelände akribisch inspiziert um dann letztlich doch aufer zu schießen? Khaled, Mootez oder Julien gehen in einem solchen Fall in den Kreis und tun, was zu tun ist – und sie treffen! Ruck zuck und ohne lange Wanderungen. Das verkürzt die Spiele beträchtlich und vielleicht, falls es einmal zum Standard werden sollte, kann man dann ein Finale sehen, ohne bis nach Mitternacht warten zu müssen.

Diesmal war es jedenfalls nicht so und deshalb war nach dem Viertelfinale für unsere beiden Rheingauer Schluss – trotz inzwischen nachgeholter Pullover und Strümpfe zur Vervollständigung der sommerlichen Kleidung wurde es nun einfach zu kühl und außerdem macht ein solch langer Tag doch sichtbar müde – das gilt auch für einige Spieler. Das war dann vermutlich auch der Grund, warum an beiden Tagen, wie man hört, kein Finale gespielt wurde – Schade.

So blieb nur das Internet mit der Veröffentlichung der Schlussplatzierung, um festzustellen, dass Mootez Manaa, Khaled Bougriba, diesmal zusammen mit Amine Ayari (? ich meine, die Beiden hätten mit Momo gespielt?) nach dem gestrigen Doublette auch das heutige Triplette-Turnier gewonnen haben. Erfreulich dass sich Sascha Löh, Jo Neu und Sönke Backens auf den 2. Platz schieben und mit Fahreddin Hass, Rüdiger Kaiser und Robert Haag sich ein weiteres Team aus der deutschen Pétanqueszene auf Platz 3 gegen die starke internationale Konkurrenz behaupten konnte.

Fazit:
Auch ein für Bouleturniere ein wenig ausgefallenes Outfit ist Beleg für die Stimmung bei diesem Turnier: Man ist völlig entspannt aber wahrt immer die Form. Ein wenig hanseatisch eben. Im Hintergrund arbeitet die Turnierleitung an den Anzeigetafeln. Das Holstentortunier ist ein besonderes Turnier! Neben nationalen und internationalen Top-Teams spielen Hobbymannschaften, von denen manche kaum über das Anfängerstadium hinaus gekommen sind. Aber sie spielen mit einer Begeisterung, die kaum zu überbieten ist. So ist die größte Stimmung sicher im D-Turnier, wenngleich der eine oder andere Jubel ausschließlich einem glücklichen Wurf oder Spielzug gilt. Das tut aber der Freude keinen Abbruch.

Es fiel auf, dass, soweit wir das beobachten konnten, Alkohol während der Spiele keine Rolle spielte (bis auf eine unrühmliche Ausnahme) – nachdem man ausgeschieden ist, kann man immer noch den Turniertag beim einen oder anderen Bier, Wein oder Pastis ausklingen lassen. Unsägliche Kommentare mancher Zuschauer signalisierten, dass vielleicht letztlich doch ein Getränk zuviel konsumiert wurde. Ansonsten zeichnet sich das Turnier durch eine sehr entspannte Atmosphäre aus. Die Turnierleitung arbeitet mit großem Einsatz und überaus genau. Die vielen Helfer von der Verpflegung über die Abgrenzung der Plätze bis hin zum THW, das die Beleuchtung bereit stellte, haben viele fleißige Hände dafür gesorgt, dass viele Boulefreunde aus vielen Ländern ein wunderbares Wochenende in Travemünde hatten. Die Spielgelegenheiten rund um den Brügmanngarten sind vorbildlich, insbesondere Für andere Gemeinden, die immer noch glauben, Plätze „pflegeleicht“ mit Steinen oder Platten zupflastern zu müssen. Wie schön eine wassergebundene Wegedecke mit Kiesauflage aussehen kann wird hier deutlich – vorbildlich und bestens nicht nur für das Boulespiel geeignet. Alles hat an diesem Wochenende gestimmt – dafür stellvertretend an Reinhard Schwertfeger einen ganz herzlichen Dank, den er sicher seiner Mitstreitern weiter gibt. Dass man keine Chance hat, zu einer vertretbaren Zeit das Finale (so es denn überhaupt noch gespielt wird) zu sehen, ist ein Mangel, den Travemünde leider mit vielen anderen Turnieren teilt. Hier sollte man wirklich beginnen, nach Lösungen zu suchen.

Im nächsten Jahr kann, nein muss man rechtzeitig daran denken, sich einen Startplatz zu sichern und dann heißt es wieder „Boule zwischen Strand und Kurhaus mit der Stimmung der großen Seefahrt im Hintergrund. Tschüss CdB und bis zum nächsten Mal!“