Edle Herrschaften besuchen die Ebernburg

Diese Richtung, edle Herrschaften, immer weiter bergauf, erreicht Ihr die Ebernburg. Das Gute liegt so nahe – an der Nahe. Dieses kleine Wortspiel beschreibt das Fazit des Tagesausflugs der Mitglieder des Boule Club RHEINGAU. Bad Münster am Stein Ebernburg – so hieß das vom zuständigen Organisations-kommitee ausgesuchte Ziel für den von der diesjährigen Mitglieder-versammlung eindringlich gewünschten Jahresausflug. Schon die ersten Schritte auf dem Weg zur Ebernburg und erst recht der tolle Ausblick von dort ins Nahetal offenbarte, dass doch einige noch nie die Gelegenheit genommen hatten, sich diese landschaftliche Perle einmal anzusehen. Dabei liegt sie so nahe – eben an der Nahe. Andere konnten ihre Jahre zurückliegenden Erinnerungen auffrischen und so konnte ein schöner Tag, bei dem auch das Wetter in hervorragender Weise mitspielte, seinen Lauf nehmen.

Morgens war für die meisten ein etwas längerer Spaziergang angesagt. Parkplätze sind rund um den vereinbarten Treffpunkt an der Personenfähre absolute Mangelware – jedenfalls wenn man vor hat, das Auto über den ganzen Tag stehen zu lassen. Also war ein Fußmarsch entlang des Rheins von den Parkplätzen an der Laach angesagt – Frühsport halt. Am Anleger angekommen gab es ein kleines zweites Frühstück – Knabberei und Rheingauer Leichtsinn. Agnes hielt mal wieder die wichtigen Dinge des Lebens bereit. Das Fährschiffchen wartete aber schon und so wurde es kein ausgedehntes Frühstück. Die Beschaffung der Billette gestaltete sich etwas schwieriger, da man an Bord – und wie sich später herausstellte auch an der Verkaufsstelle in Bingen – nicht auf Gruppentarife eingestellt war. Dies, schon im vergangenen Jahr bemängelt, spricht nicht gerade für die Beweglichkeit in puncto Kundenorientierung der Bingen-Rüdesheimer Fahrgastschifffahrt. Schade.

In Bingen angekommen folgte ein Spaziergang am Rheinufer, das im Rahmen der Landesgartenschau neu gestaltet worden war. Es ging nach Bingerbrück, wo sich seit einigen Jahren der Hauptbahnhof von Bingen befindet. Dort zweigen von der Rheinstrecke die Eisenbahnverbindungen entlang der Nahe nach Kaiserslautern und Saarbrücken ab. Standesgemäß hatte uns DB-Regio einen Zug mit dem Namen „Rockenhausen“ bereit gestellt – es gibt doch einfach wunderbare Zufälle. Die Fahrzeit verging wie im Fluge und schon waren wir in Bad Münster am Stein. Dort wartete bereits Monika im PKW, die zusammen mit Susanne die Aufgabe übernommen hatte, nicht so gehstarke Besucher zur Burg zu chauffieren. Die anderen studierten den von der Reiseleitung ausgegebenen Stadtplan oder folgten einfach den Ortskundigen am Rande des Kurparks vorbei zur Fußgängerbrücke über die Nahe. Auf der anderen Seite wartete der steile Fußweg hoch zur Ebernburg. Eine kurze Fotopause  und dann der Rest der Wegstrecke, bei der man durchaus Kondition gebrauchen konnte.

Während das Gros der Besucher sozusagen den Burghof durch die Hintertür erklommen hatte, wartete am Haupteingang zur Burg Adelgunde, edle Zofe bei Hofe auf den geladenen Besuch der Herrschaft. Die Herrschaft, im Moment außer Haus, ließ den Besuchern aus dem Gau am Rheine ein herzliches Willkommen ausrichten. Während der Begrüßung vor dem Burggraben verschafften sich einige Droschken und Kaleschen, gezogen von vielen starken Rössern vorbei an der Besuchergruppe unerbittlich Einlass in die Burg. Die Rheingauer Herrschaften blieben allerdings bei Ihrem Vorhaben, an der Seite der ihnen zugeordneten Zofe die Burg bedächtig schreitend zu erobern.

„Erobern“ war dann auch ein immer wieder vorkommendes Stichwort in den Erläuterung der Zofe Adelgund. Burgen sind nun mal keine Wochenendheime und weckten zu damaligen Zeiten manche Begehrlichkeit, zumal dann, wenn die Herren der Burg erfolgreiche Kriegsherren waren wie Franz von Sickingen. Auch der spätere Grenzverlauf in der Nahe zwischen Preußen (Ebernburg) und Bayern (Rheingrafenstein), war nicht geignet, den Burg- und Ortsbewohnern ruhige Zeiten zu verschaffen. Zur Zeit der Reformation war die Burg ein Zentrum und eine Zuflucht der Unterstützer der Reformation. So berichtet die Zofe von den Verbindungen ihrer Herrschaft zu Luther während dessen Zeit auf der Wartburg.

Auch die Buchdruckerkunst, durch die beweglichen Lettern des Johannes Gutenberg aus dem nahen Mainz, fand in der Burg eine wesentliche Heimstatt. Des Einen Freud – des Anderen Leid; so mochten auch die auf der Burg versammelten Abschreiber und Schriftenmahler empfunden haben, als Ihre mühsame Vervielfältigung von Schriften durch händisches Kopieren plötzlich mit der Buchdruckpresse zur „Massenware“ wurde. „Schriftsetzer“ hieß der Beruf der Zukunft – heute weiß man, dass diese viele Jahre geachtete Zunft mit der Einführung der Computer ein ähnliches Schicksal ereilte wie die damaligen Abschreiber. So ist das Leben und der Hinweis auf die Heizmethoden der damaligen Zeit machte klar, dass mancher Fortschritt uns letztlich dann doch ein bequemeres Leben ermöglicht hat, auch wenn die eine odere andere althergebrachte Tätigkeit oder Gewohnheit dabei auf der Strecke bleiben musste.

Fast wie damals in der Schule - eine spricht und alle hören zu. „Saugeschrey“ galt es noch zu erläutern – so stand es jedenfalls in der Einladung für die Herrschaften aus dem Rheingau. Adelgunde berichtete von einer intensiven Belagerung der Ortschaft Ebernburg. Auch nach langer Beschießung erfolgte keine Gegenwehr der Einwohner. Das Wundern der Belagerer war berechtigt – aber irgendwie auch erklärbar: Es war niemand zu Hause. Alle Einwohner hatten sich über unterirdische Gänge aus dem Ort und auf die Burg geflüchtet. Aber wie lange kann man dort aushalten ohne nennenswerte Versorgung von außen? Nun, in der Burg hielt man einen Eber. Sicher ein kapitales Tier und gut für einige Mahlzeiten. Gut, dass man einige Tage gehungert und nicht gleich den Eber verspeist hatte. Ein voller Bauch denkt halt nicht so gerne und Hunger ist oft ein guter Antrieb für kreative Lösungen – direkt und im übertragenen Sinne, wie wir vermutlich alle schon erfahren haben. Also malträtierte man den Eber bis er jämmerlich schrie als stecke er am Spieße. Das Geschrei drang, wie vorgesehen, auch zu den Belagerern, die davon ausgehen mussten, dass man auf der nicht einzunehmenden Burg ein Schwein zur Versorgung der Flüchtlinge schlachte. Nach dem Geschrei wurde der Eber wieder gestreichelt und gepflegt, bis man ihn nach 2-3 Tagen wieder zu erbärmlichem Geschrei trieb. Nichts für die den natürlichen Dingen des Lebens manchmal etwas entrückten Tierschützer, aber ausgesprochen wirkungsvoll gegenüber den Belagerern. Während die nämlich Kohldampf schoben, mussten sie davon ausgehen, dass auf der Burg ein Schlachtmahl das nächste jagte. Das war nicht gut für die Moral der Truppe und so zog man zur Freude von Adelgundes Herrschaft und den Bewohnern des Ortes unverrichteter Dinge wieder ab. „Viel Lärm um Nichts“ – hat etwa Shakespeare sich von diesen Ereignissen inspirieren lassen? 

Adelgundes Vorstellung der Schutzbefohlenen zur Zeit der aufkeimenden Reformation ließ an manchen Stellen den Schluss zu, dass schon damals Patchworkfamilien durchaus in Mode waren – allerdings mehr aufgrund der manchmal doch arg begrenzten Lebenserwartung der männlichen Familienoberhäupter. Praktisch für die Witwe des Verblichenen schien es zu sein, sich im klerikalen Umfeld des Ex-Gatten wieder neu zu verheiraten – so blieb auf eine besondere Art und Weise alles in der Familie.

Bewirtet von den Herren der Ebernburg mit Brot und Wein - so lässt man sich's gefallen in dieser beeindruckenden Landschaft. „Nach soviel kulturhistorischen Erkennnissen setzte nun doch Hunger und Durst in etwas weltlicherer Form ein. Adelgunde hatte dafür Brot und Wein vorbereitet. Es traf sich gut, dass die Herrschaften aus dem Rheingau eine gewisse Nähe zu dieser Form der Erhaltung körperlicher Leistungsfähigkeit aus Ihrer Heimat mitbrachten. Auch das von Junker Walter übergebene Gastgeschenk an Adelgunde passte in diese Richtung: Eine Flasche des köstlich moussierenden Weines aus den Latifundien des aus Norditalien stammenden Edlen Roberto.

Dann konnten sich die Besucher aus dem Rheingau doch wieder etwas mehr der Gegenwart zuwenden. Es traf sich gut  nach dem anstrengenden Vormittag, dass im Burghof eine leistungsfähige Verpflegungsstation in Form der Burgschänke eingerichtet war. Das Mittagessen machte manchen zwar ein wenig müde, aber mit einem starken Kaffe wurden die Lebensgeister geweckt und so konnte der Abstieg an die Nahe und der Gang in den Kurpark in Angriff genommen werden.

Gleich am Beginn des Kurparks, direkt hinter der Fußgängerbrücke erwartete man uns auf der wunderbaren Anlage des Boule-Club Rheingrafenstein e.V.  Neid ist zwar eine der sieben Todsünden – aber wenn man eine solche Anlage sieht, darf man doch wohl ein wenig neidisch werden – jeder, der diese Anlage kennt, wird das verstehen und uns die Sünde verzeihen. Eine kleine Abordnung der Rheingrafensteiner erwartete uns und manche kannten sich bereits von diesem oder jenem Turnier. Schnell wurden einige Teams gebildet und wir konnten unserem Lieblingssport nachgehen: Boule spielen. Einfache Plätze wechselten mit ausgesprochen schwierigen und anspruchsvollen Terrains. Dazu eine Infrastruktur, die man nur als erstklassig bezeichnen kann. Die Gespräche am Rande zeigten, dass die Stadt in erheblichem Umfang unter die Arme gefriffen hat, indem ein nicht mehr benötigter Tennisplatz und ein nicht angenommener Kinderspielplatz gegen einen lächerlich geringen Pacht zur Verfügung gestellt wurden – dass aber eben auch der Einsatz der Clubmitglieder aus diesem „Rohstoff“ durch Kreativität und hartes Anpacken ein traumhaft schönes Boulegelände geschaffen hat. Man kann da den BoulespielerInnen aus Bad Münster am Stein nur von Herzen zu diesem schönen Platz gratulieren und, wie schon angedeutet, insgeheim ein wenig neidisch sein.

Nun wartete aber die Solemamsell, die uns erklären wollte, was es mit Sole, Gradierwerken, Salinen und später dem Kurbetrieb in Bad Münster am Stein so auf sich hatte. Nach der kulturellen Flut des Vormittags war das dann schon ein wenig anstrengend, auch wenn vieles interessant und für das Verständnis der zu sehenden Anlagen wichtig war. Die Tanzmusik im Hintergrund ließ zusätzlich beim einen oder anderen Zuhörer die Aufmerksamkeit weichen. Wesentlich ist festzuhalten, dass die Gewinnung des Weißen Goldes (Salz) seinerzeit ein wichtiges Anliegen der Fürsten war und nahezu jeden Aufwand rechtfertigte. Und dass die Produktionsanlagen zur Gewinnung von Salz erst später und mehr durch Zufall in ihrer gesundheitsfördernden Wirkung (Inhalation vor den Gradierwerken) erkannt wurden. So konnte sich eine Stadt wie Bad Münster am Stein durch den Kurbetrieb weiterentwickeln, als Salz auf anderen Produktionswegen längst zur Massenware geworden war. Nur die Salzsieder (siehe auch die zuvor erwähnten Abschreiber) dürften sich über diese Entwicklung nicht wirklich gefreut haben.

Eine abschließende Kostprobe der naturbelassenen Sole bestätigte in erster Linie, dass bezüglich des Geschmacks offensichtlich ein direkter Zusammenhang zwischen stark mineralhaltigen Wässern und deren Trinktemperatur besteht. So ist es bekannt, dass die schmackhaftesten Mineralwässer hohe Mineral- und damit Salzgehalte aufweisen. Die trinkt man allerdings in der Regel gut gekühlt. Gewärmt auf ca. 30 Grad muten sie dann doch eher an wie eingeschlafene Füße, die seit längerer Zeit nach einer Waschung dürsten. Nur gut, dass es zum Abschluss noch einen ordentlichen Tropfen des Naheweins gab. So war man gerüstet, die wenigen Meter zum Bahnhof zu gehen und mit dem Zug wieder gen Bingen zu fahren.

Die abschließende Klammer des Tages lieferte dann wieder auf leider unrühmliche Art und Weise die Bingen-Rüdesheimer Fahrgastschiffahrt mit Ihrer Personenfähre von Bingen nach Rüdesheim. Alle Teilnehmer der Gruppe hatten den direkten und schnellen Weg vom Bahnhof zum Fähranleger genommen. 16 Personen standen vor dem abfahrbereiten Schiff – lediglich vier etwas schwergängige Mitfahrer hingen etwa hundert Meter nach. Daraufhin machte der über alle Vernunft erhabene Bootsmann doch wirklich das Tor zu und trotz lauter Proteste alle Anstalten sofort abzufahren. Dem Bootsführer und einer herbeigeeilten Angestellten war es letztlich zu danken, dass dann doch noch die Vernunft siegte und alle 20 Teilnehmer des Ausflugs pünktlich in Rüdesheim ankamen. Zum Ende eines sehr schönen Tages hätte es dieser Demonstration kundenunfreundlichen Verhaltens nun wahrlich nicht bedurft und die Gesellschaft sollte dringend mal mit sich ins Gericht gehen, ob denn solche Präsentation nach außen wirklich in eine Dienstleistungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts passt. Übrigens: Unterstützer der Fährbetriebe im Widerstand gegen die geplante Brücke wird man auf diese Weise mit Sicherheit nicht gewinnen.

Abgesehen von dieser wenig freundlichen Klammer am Beginn und Ende des Ausflugs, war es ein sehr schöner Tag und den Dank des Vorstands verband Walter mit einem Pikkolo ebenfalls aus Robertos Latifundien für die fünf Mitglieder des Organisationskommitees. Danke, das habt Ihr gut gemacht!

Bilder von dem Ausflug, vielleicht auch von Dietrich, müssen noch aufbereitet werden und werden nach der Woche in Travemünde hier als Diaschau eingestellt. Bis dahin: Gute Erholung und die eine oder andere gute Kugel, ganz nahe an die Sau.